Aktuelles zur Ausstellung ProInsekt

Facettenreiche Insekten – Interview zur Ausstellungsentwicklung

  • Aktuelles Hamburg

Insekten sind die artenreichste Tiergruppe der Erde. Mit ihren extremen Fähigkeiten sind sie die Superhelden des Tierreichs. Schillernd schön bis unscheinbar übernehmen sie lebenswichtige Aufgaben im Ökosystem. Ihr Rückgang ist auch für uns Menschen bedrohlich. Die am 23. März in Hamburg startende Wanderausstellung „Facettenreiche Insekten: Vielfalt I Gefährdung I Schutz“ bietet Information, Spaß, Beteiligung und Zuversicht – denn jeder kann helfen, Insekten zu schützen.

Die Ausstellungsmacherinnen und -macher Martin Husemann, Frithjof Leopold und Lioba Thaut vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) in Hamburg umreißen in einem Interview die Kernpunkte der Ausstellung.

  • Wie ist die Idee zu dieser Wanderausstellung entstanden?

Martin Husemann:

2017 hat der Entomologische Verein Krefeld die wichtige Studie zum extremen Rückgang der Insektenmasse und auch deren Arten veröffentlicht.  Zeitgleich wurden beim Museumsverbund der Nord- und Ostseeregion NORe e. V.  gerade Daten zur marinen Fauna und deren Veränderungen anhand der Sammlungen für das MarSamm-Projekt erhoben. Während eines NORe-Treffens entstand schnell die Idee, unsere Sammlungen auch zur Analyse von Veränderungen der Insektenfauna Norddeutschlands zu nutzen und diese Daten der Öffentlichkeit zu präsentieren. So war das Projekt geboren.

  • Was macht diese Ausstellung einmalig? Was ist das Neue? Warum sollte ich sie mir unbedingt ansehen?

Lioba Thaut:

Die Wanderausstellung führt den Besuchenden nicht nur die Vielfalt, Schönheit und Nützlichkeit von Insekten vor Augen. Sie zeigt auch Entwicklungen zur Gefährdung von Insekten auf. Dafür haben die beteiligten Museen vom NORe e. V. Daten in ihren Sammlungen erhoben. Anhand von Fallbeispielen wie der mittlerweile in Hamburg ausgestorbenen Gefleckten Schnarrschrecke (Bryodemella tuberculata) oder den schon lange nicht mehr in der Braunschweiger Umgebung gefundenen Laufkäfer Platynus livens zeigen wir, wie sich die Zusammensetzung der Insektenarten in Norddeutschland ändert und welche Arten aktuell gefährdet sind. Aber wir wollen nicht nur ein pessimistisches Bild über das Insektensterben in der Ausstellung zeichnen, sondern alle ermutigen, dem Rückgang entgegenzuwirken. Wir stellen Projekte zum Insektenschutz vor, aber zeigen auch simple Maßnahmen, die jede und jeder selbst umsetzen kann.

  • Inwiefern ist die Ausstellung für die ganze Familie und jeden Wissensstand geeignet?

Lioba Thaut:

Die Ausstellung ist sehr interaktiv mit vielen Mitmach- und Medienstationen. Einfache, aber dennoch wissenschaftlich fundierte Texte, viele Grafiken und Abbildungen vermitteln Wissen zu Insekten. Interviews auf Monitoren oder kleine Hörspiele erweitern diese Inhalte in leicht zugänglicher Form. Besuchende können spielerisch erfahren, wie der Körper eines Insekts aufgebaut ist, indem sie an einer Medienstation ein Insekt ihrer Phantasie gestalten und per Mail nach Hause schicken. Sie können spielerisch herausfinden, welche Insekten welche Pflanzen bestäuben und welche Nahrungsmittel und Gegenstände wir nur wegen Insekten zu genüge im Supermarkt haben. Die überdimensionale Größe einer Plattbauchlibelle und einer Mauerbiene ermöglicht es den Besuchenden, im Detail und aus nächster Nähe den Körperbau der filigranen Tiere zu studieren. Neben Modellen und Mitmachstationen zeigen wir auch Insekten aus der Sammlung des Zoologischen Museum in Hamburg.

  • Warum sind Insekten für Sie die faszinierendste Tiergruppe?

Frithjof Leopold:

Insekten bieten eine unvergleichliche Vielfalt, die keine andere Tiergruppe hat. Mit weit über einer Million bekannter Arten sind sie sogar mehr als dreimal so vielfältig wie alle bekannten Pflanzen zusammen. Sie haben sich sehr unterschiedlich an ihr Lebensumfeld angepasst. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie fast überall auf unserer Erde zu finden sind. Am faszinierendsten finde ich, dass diese große Zahl an verschiedenen Anpassungen, Körperformen und Arten auf einen klar strukturierten einheitlichen Körperbau zurückzuführen ist.

  • Wie würden Sie die aktuelle Situation für Insekten beschreiben? Wo steht die entomologische Forschung derzeit?

Martin Husemann:

Wir wissen, dass die Populationen vieler Insektenarten in vielen Gegenden Deutschlands und auf der Erde abgenommen haben. Für einige Arten ist bekannt, dass sie sogar ausgestorben sind. Viele andere sind es vermutlich, ohne dass wir es bemerkt haben oder diese Arten überhaupt kannten. Für die Vielzahl der Arten weiß man nicht, wie es ihnen geht. Viele sind noch gar nicht entdeckt, vor allem kleine Arten und Arten in den Tropen. Daher besteht noch viel Forschungsbedarf. Auch die Faktoren, die zur Abnahme bestimmter Arten geführt haben und damit auch die Wege, mit denen man ihnen helfen kann, sind oft noch unklar.

  • Können Sie ein Szenario skizzieren: Wie sähe die Erde aus, wenn der Bestand der Insekten und die Vielfalt der Arten noch deutlich stärker zurück ginge?

Martin Husemann:

Das ist sehr schwer abzuschätzen, da die biologischen Netzwerke nicht alle im Detail verstanden sind und auch häufig unklar ist, welche Lücken durch generalistische Arten geschlossen werden können. Insgesamt würden sowohl Fauna als auch Flora verarmen, da Nahrungsnetze eingeschränkt werden und einige Ökosystemdienstleitungen weniger effektiv werden würden oder zusammenbrechen. Ein Verlust der Vielfalt würde vermutlich dazu führen, dass einige wenige Arten häufiger und problematisch werden können, da sie nicht mehr durch natürliche Feinde reguliert werden. Insgesamt würde das Leben sehr viel komplizierter werden und weniger komfortabel. Und natürlich weniger bunt und vielfältig.

  • Konnten bereits umfassende Schutzmaßnahmen entwickelt werden – und greifen diese schon?

Martin Husemann:

Es gibt viele kleine und auch größere Schutzprogramme. Diese helfen bestimmten Arten oder Gruppen von Insekten zumindest lokal. Allerdings fehlen noch große systemische Programme, die das Problem an der Wurzel beheben

  • Hat die „Krefelder Studie“ 2017 einen Schub oder gar einen Startpunkt im systematischen Monitoring und der Entwicklung von Schutzmaßnahmen für die Insekten ausgelöst? Was hat sich in der nationalen und internationalen Zusammenarbeit verändert?

Martin Husemann:

Seit dem Erscheinen der Studie sind viele neue Programme und Projekte ins Leben gerufen worden. Zudem wurden viele Standards entwickelt, auch durch den Entomologischen Verein Krefeld. Diese Standards werden nun bei dem nationalen Monitoring angewandt, das auch durch die Bundesregierung forciert wird. So entstehen immer mehr Monitoring-Projekte und Institute, die sich mit dem Thema beschäftigen, zum Beispiel auch das Zentrum für molekulare Biodiversitätsforschung im LIB. Auch ist klar, dass die Sammlungen der Naturkundemuseen unser wichtigstes Fenster in die Vergangenheit sind und wir nur darüber verstehen können, wie sich unsere Insektenfauna verändert.

  • Was können wir alle konkret zum Schutz von Insekten tun?

Frithjof Leopold:

Jede Kleinigkeit, die dem Wohl der Insekten zuträglich ist, kann zum Schutz beitragen. Und zum Wohl brauchen Insekten das gleiche wie wir Menschen auch, und zwar eine Nahrungsquelle und Unterschlupf für zahlreiche Aktivitäten, wie Schutz vor Witterung und Feinden, zum Ruhen oder um den Nachwuchs großzuziehen. Die einfachste Möglichkeit Nahrungsquellen zu schaffen ist, viele verschiedene heimische Blütenpflanzen anzupflanzen: auf der Fensterbank, dem Balkon, im eigenen Garten oder in Gemeinschaftsprojekten auf öffentlichen Flächen. Auf den gleichen Ebenen können wir auch für Unterschlupfe für Insekten sorgen. In den meisten Fällen werden Nisthilfen, häufig als Insektenhotels bekannt, aufgestellt.

In jedem Fall ist das Wichtigste, was jede und jeder tun kann, sich über Insekten zu informieren, denn jede Art hat ihre eigenen Spezialisierungen. Bevor wir also aktiv werden, sollten wir in Erfahrung bringen, welche Arten in der Umgebung leben, welche Nahrungspflanzen sie brauchen und in welchem Material – Sand, Lehm, Holz oder zwischen Steinen – sie ihre Nester bauen.

  • Es gibt einen Rückgang an Insektenarten und einen an Masse: Können Sie den Unterschied und die jeweiligen Folgen benennen?

Frithjof Leopold:

Wenn von einem Rückgang der Masse die Rede ist, meinen Forschende eigentlich die Biomasse. Die Biomasse beschreibt die Masse aller Lebewesen einer festgelegten Gruppe, in unserem Kontext der Insekten, in einem klar festgelegten Gebiet, zum Beispiel eine einzelne Wiese oder ganz Deutschland. Der Biomasserückgang ist also ein Maß dafür, dass die Anzahl aller Insekten geringer wird, also weniger oder ausgedünnte Populationen existieren als früher, dadurch schränkt sich auch die Biomasse von anderen Lebewesen, die mit den Insekten interagieren, ein. Ein konkretes Beispiel ist, dass sich durch den Verlust der Insektenbiomasse weniger Singvögel ernähren können. Daher gehen auch diese zurück.

Wenn Forschende im Kontext des Insektenrückgangs allerdings explizit auf Arten eingehen, ist gemeint, dass sich die Vielfältigkeit der Insekten verringert. Als vereinfachtes Beispiel nehmen wir mal eine Wiese, auf der viele verschiedene Kräuter, Wildblumen und andere Pflanzen zusammen mit zehn Arten Wildbienen leben. Jede Wildbiene bestäubt eine andere Auswahl an Pflanzen. Sterben nun acht dieser Wildbienenarten aus, werden die zwei verbliebenen Arten immer noch nur die Pflanzen bestäuben, auf die sie spezialisiert sind, und alle anderen Pflanzen gehen zurück.

Für die Einschätzung des gesamten Insektenrückgangs ist es also wichtig sowohl die Biomasse der Insekten als auch ihre Artenvielfalt zu berücksichtigen.

 

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Die Interviewpartner:

 

Die Ausstellung wird bis 2024 in den Museen des NORe-Verbundes (Museumsverbund der Nord- und Ostsee Region e. V.) gezeigt und wandert anschließend in weitere Ausstellungshäuser Deutschlands. Die Ausstellung wurde im Projekt „ProInsekt“ entwickelt und wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

Weiterführende Informationen

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© Oliver Eckelt